Zweites Vatikanum
Segen oder Fluch?

Ansprache an Rom

Nach unserer Analyse zentraler Konzilsdokumente galt es praktische Konsequenzen aus den erzielten Ergebnissen zu ziehen. Diese Konsequenzen sind Gegenstand unserer Ausführungen über die Leitung der Gebets- und Sühnegemeinschaft actio spes unica durch Pfarrer Milch. Sie gipfeln in einem Abschnitt über die angemessene Einstellung gegenüber dem modernen Rom. In ihm stellen wir im Sinne dieses Priesters zunächst unsere Position dazu dar und begründen sie; anschließend geben wir ihr noch die Form einer Ansprache an das moderne Rom, deren ersten Teil wir nun zur Kenntnis bringen:

„Wir waren, wir sind und wir bleiben dem Ewigen Rom in Treue verbunden und wir erkennen die gegenwärtig amtierenden Hierarchen als gültige Amtsträger an. Da du dich, modernes Rom, aber auf dem Konzil durch zwielichtige Aussagen und solche, die der überlieferten Lehre direkt widersprechen, vom Ewigen Rom getrennt hast und du dich seither auf der schiefen Bahn, auf welche diese unselige Bischofsversammlung geraten war, fortbewegst, müssen wir, um der Treue zu unserer heiligen Kirche willen, zu dir auf Distanz gehen.

Mit den folgenden Worten wollen wir dir nun darlegen, worin der Sündenfall dieses Konzils besteht und erheben damit zugleich Anklage gegen dich:

Du hast auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die katholische Kirche verraten. Du verrietest sie, indem du ihren Absolutheitsanspruch preisgabst, und du gabst ihn preis, indem du ein neues Selbstverständnis der Kirche formuliertest, das durch diese Preisgabe gekennzeichnet ist. Mit diesem Frevel erfülltest du der Welt und den anderen Religionen die Versöhnungsbedingung, die sie stellten. Auf der Grundlage des gewandelten Selbstverständnisses konntest du dann dein Ziel verwirklichen, dich mit der Welt und den anderen Religionen anzufreunden. Zu diesem Zweck hast du dich auch von der Rückkehr-Ökumene abgewandt, die aus dem katholischen Absolutheitsanspruch folgt, und die von der Kirche durch alle Jahrhunderte gelehrt wurde; du hast sie durch eine antikatholische Koexistenz-Ökumene ersetzt.

Im Widerspruch zum katholischen Absolutheitsanspruch huldigtest du auf dem Konzil, um die Freundschaft der Welt zu gewinnen, die diesen Anspruch haßt, der Beitragsideologie, welche der Kirche die Rolle zuweist, mit anderen Gruppen zum besseren Aufbau der Welt zusammenzuarbeiten, wo doch die Kirche Gottes dazu berufen ist, den Ausschlag zu geben und der Welt den Sinn ihres Daseins und ihre Aufgabe vor Augen zu stellen. Du gabst zudem auf dieser unseligen Synode die Forderung auf, daß Christus über die Völker herrschen soll und daß nur die einzig wahre Religion ein Recht auf Existenz hat, während die anderen Religionen nur Duldung erfahren dürfen. Mit der Erklärung einer Religionsfreiheit, die im Widerspruch zur überlieferten Lehre der Kirche steht, hast du dir auch in dieser Hinsicht die Freundschaft der Welt durch Verrat an der Lehre der Kirche erkauft.

Die Konzilstexte, die du verfaßt hast, sind gekennzeichnet durch Ambivalenz; die glaubenskonformen Passagen können nicht über die Kehrtwende hinwegtäuschen, die du vollzogen hast. Sie spiegeln eine Kontinuität vor, wo du doch in Wirklichkeit in vieler Hinsicht mit der überlieferten Lehre gebrochen hast. Dabei wagst du es auch noch, diese schwerwiegenden Traditionsbrüche als Ausdruck „lebendiger Tradition“ zu loben, wahrhaft ein perfides Unterfangen. Diese Texte zeigen, daß du nicht mehr nur dem einen Herrn, nämlich Jesus Christus, dienen wolltest, sondern auch einem anderen Herrn, nämlich der Welt und den anderen Religionen.

Auch von den gravierenden nachkonziliare Reformen, die du durchgeführt hast, behauptest du, daß sie Ausdruck „lebendiger Tradition“ seien, was aber nichts anderes ist als ein semantischer Betrug. Diese Reformen, allen voran die Liturgiereform, die in Wirklichkeit eine Liturgierevolution ist, sind nämlich nicht Ausdruck von Fortschritten im Glauben, sondern von einem Abgleiten vom Glauben. „Lebendige Tradition“, die diesen Namen verdient, ist niemals gegen die Überlieferung gerichtet, wie deine Reformen, sondern sie bestätigt und bekräftigt das je Gewußte im je gewußten Sinne. Wir lehnen deine Reformen nicht deshalb ab, weil sie Neues brachten, sondern weil sie Falsches brachten! Wir sperren uns nicht gegen Neues, das behauptet nur deine trügerische Propaganda, mit der du uns in die Ecke der ewig Gestrigen zu stellen versuchst. Im Gegenteil, wir begrüßen alles Neue, das in Übereinstimmung mit der Tradition der Kirche ist, und im Zeichen wahren Fortschritts steht. Und weil wir das wollen, deswegen werfen wir dir vor: Du, modernes Rom, hast uns in den letzten Jahrzehnten um den wahren Fortschritt in der Kirche betrogen, der in der Erweiterung und Vertiefung des bereits Erkannten bestanden hätte.

Nun stehst du vor dem Scherbenhaufen, den du in erster Linie selbst mit dem Konzil und deinen nachkonziliaren Reformen angerichtet hast. Trotzdem versuchst du immer noch, zumindest nach außen hin, die Katastrophe zu beschönigen, und du sowie ein Heer von halbkonservativen, klerikalen Beschwichtigern versuchen den Gläubigen einzureden, das Elend sei auf Abweichungen von der Konzilslinie zurückzuführen, wogegen es doch in dieser ihre Wurzeln hat. –

Wir haben dir soeben die Struktur deiner konziliaren Revolution aufgezeigt, die ihre Fortsetzung in der nachkonziliaren Ära fand und immer noch findet. In der Tat hast du dir sowohl das inhaltliche Grundprinzip, die Preisgabe des katholischen Absolutheitsstandpunktes, als auch das methodische Grundprinzip dieses von der Sünde befleckten Konzils, nämlich einen Zwei-Herren-Dienst zu praktizieren, zu eigen gemacht, denn zahlreiche deiner Verlautbarungen spiegeln seinen Ungeist wider, sie sind teils glaubenskonform, teils zwielichtig, teils eindeutig glaubenswidrig. Wohl erkennen wir die ersteren an, aber wir erkennen sie nicht an auf dem Boden deiner zwiespältigen Gesinnung, sondern zollen ihnen Anerkennung auf dem Boden der unverfälschten katholischen Lehre. Über die Gesamtheit deiner Verlautbarungen hat Erzbischof Lefebvre das treffende und zugleich vernichtende Urteil gefällt, das übrigens auch für den Konzilstext Gültigkeit hat:

‘Die mäßigenden Akte der Revolution ändern nichts an ihren Prinzipien!’

Zu deiner Beschämung müssen wir feststellen, daß du seit diesem unseligen Konzil weiter um die Gunst der Welt und der anderen Religionen buhlst, wobei das Weltgebetstreffen in Assisi sowie dessen Folgetreffen ein eklatanter Ausdruck deines Verrats am Absolutheitsanspruch der Kirche Gottes sind. Die schier unglaubliche Tatsache, daß nach dem Konzil deine Vertreter bei verschiedenen katholischen Staaten vorstellig geworden sind, um darauf zu drängen, daß die Schutzbestimmungen für die Kirche Gottes aus deren Verfassungen gestrichen werden, stellt einen Verrat am Königtum Jesu Christi dar, das die Kirche allezeit gefordert hatte. Schließlich hast du, aus dem Ungeist dieses Konzils heraus handelnd, die wahre Opfermesse beseitigt und an ihre Stelle eine dem Protestantismus angenäherte Neue Messe gesetzt. Du hast dabei das heilige Opfer in eine Mahlveranstaltung umfunktioniert und infolgedessen degenerierte der Opferpriester zu einem Mahlvorsitzenden. Diese Neue Messe ist auch ein beschämendes Beispiel für deine Anbiederung an den Protestantismus, hat doch der Architekt derselben ausdrücklich alles weglassen wollen, woran die Protestanten Anstoß nehmen könnten. Mit der Neuen Messe hast du die katholische Kirche ins Herz getroffen.

Dies sind zentrale Punkte der Anklage, die wir gegen dich erheben müssen.

Trotzdem lieben wir dich, Rom, weil wir wohl zu unterscheiden wissen zwischen dem Wesen der Kirche und dem Gebaren ihrer Amtsträger. Natürlich lieben wir nicht deinen Frevel, diesen verabscheuen wir, sondern dein Wesen, das von diesem Frevel unberührt bleibt. Für alle Zeiten, also auch für heute, gilt für dieses Wesen das Wort des hl. Paulus, daß die Kirche die Braut ohne Makel und Runzel ist, die der Herr sich heilig gestaltet hat. Wir lieben also dein fortdauerndes Wesen, das von der gegenwärtigen Schmach deines Gebarens nicht verletzt werden kann, und je mehr du dich in deinem Gebaren von deinem Wesen entfernst, desto mehr ringen wir um deine Bekehrung.

Als du auf dem Konzil die Fackel der Wahrheit sinken ließest, ergriffen wir sie, und wir halten sie dir seit dieser Zeit beständig vor Augen; wir appellieren an dich ohne Unterlaß, sie wieder zu ergreifen, durch Rückkehr auf den Boden deiner Tradition. Und wir danken Gott für die Gnade, unserer heiligen Kirche diesen Treuedienst erweisen zu dürfen.

Bis zur Wende, jenem Zeitpunkt, an dem du diesem Ruf zur Bekehrung folgen wirst, bleiben wir auf Distanz zu dir, weil das Heilige nur abseits des Unheiligen heilig gehalten werden kann, und damit wir uns nicht mit dem Geist des Konzils beflecken müssen. Wahrheit und Irrtum dürfen niemals auf eine Stufe gestellt werden. Außerdem können wir uns nur in der Position des Abseits den Fallstricken entziehen, mit denen du uns in das Elend deines Modernismus hineinzuziehen trachtest. Deshalb weisen wir bis zum von uns ersehnten Tag, an dem du deinen Irrweg erkennst und die Wende vollziehst, alle Angebote von dir zurück, uns in deinen Innenraum integrieren zu lassen. Wir sind und bleiben in der Kirche, aber ihren offiziellen Innenraum müssen wir solange meiden, bis du dich wieder zu deiner Tradition bekennst.

Wenn wir auch zu dir auf Distanz gehen müssen, so trennen wir uns doch nicht von dir. Du, Rom, bist das Thema mit dem wir aufstehen und uns niederlegen. Wir betrachten den Niedergang deines Erscheinungsbildes nicht mit Gleichgültigkeit oder Häme, nein, wir leiden unter diesem Niedergang gemäß dem Wort der Hl. Schrift: „An ihren Flüssen saßen sie und weinten, da sie dein gedachten, Sion.“

In uns lebt das sentire cum ecclesia – das Fühlen mit der Kirche, und deshalb schmerzt uns der Zerfall des Erscheinungsbildes unserer geliebten Kirche. Wir leiden darunter wie Kinder leiden, wenn ihre geliebten Eltern auf die schiefe Bahn geraten und an diesem Beispiel wollen wir dir, modernes Rom, noch einmal unsere Einstellung zu dir verdeutlichen. ...“